Es war spät, fast 22 Uhr, als es plötzlich an meiner Tür klingelte. Müde von einem langen Tag wollte ich schon zu Bett gehen, doch das Läuten wiederholte sich, dringlicher. Widerstrebend öffnete ich – und ein junger Mann stand vor mir.
„Guten Abend“, sagte er mit einem Lächeln, das nicht recht zu dieser Stunde passen wollte. „Ich bin O. aus Tirol. Sie kennen mich sicher.“
„Nein“, erwiderte ich kühl. „Was führt Sie so spät noch hierher?“
Sein Blick wurde ernst. „Man sagt, Sie können in die Zukunft sehen. Deshalb bin ich gekommen.“
„Um diese Zeit?“ fragte ich ungläubig.
„Ich bezahle gut. Sie werden es nicht bereuen.“
Ich ließ ihn ein, bat ihn, sich zu setzen, und zog mich für einen Moment zurück. In einem Bademantel arbeitete ich nur in wirklichen Ausnahmesituationen. Zehn Minuten ließ ich ihn warten, doch er blieb geduldig sitzen – fast zu geduldig. Schon beim ersten Blick hatte ich das Gefühl, dass etwas Dunkles mit ihm in mein Haus getreten war.
Als ich zurückkam, musterte er mich erwartungsvoll. „Also, was sehen Sie?“
Ich atmete tief ein. „Ihre Zukunft liegt im Schatten. Ich sehe Gefahr. Eine große Gefahr.“
„Gefahr? Für mich?“ Er lachte leise. „Ich habe alles – Geld, Besitz, Macht. Was soll mir schon geschehen?“
„Dann hören Sie mir gut zu“, sagte ich mit Nachdruck. „Noch heute müssen Sie Ihr Flugzeug in Sicherheit bringen, es unauffindbar machen. Packen Sie Ihre wichtigsten Dinge und verlassen Sie das Land – morgen früh. Sonst ist es zu spät.“
Sein Lächeln erlosch für einen Augenblick, doch dann winkte er ab. „Das ist doch Unsinn. Nichts, was mir Sorgen bereitet.“ Er zeigte auf das Fenster. „Unten steht mein Wagen. Eine Luxuskarre. Wollen wir nicht eine Runde drehen?“
„Nein.“ Meine Stimme war schärfer als beabsichtigt. „Sie müssen gehen – und tun, was ich Ihnen geraten habe. Morgen dürfen Sie nicht mehr hier sein.“
Er aber lachte wieder, legte Geld auf den Tisch und sprach: „Sie waren sehr nett. Ich komme sicher wieder.“ Dann verließ er das Haus.
Ich blieb zurück – mit Magenschmerzen und der bedrückenden Gewissheit, dass Schlimmes bevorstand.
Am nächsten Morgen rauschte die Nachricht durch die Medien: Ein Unternehmer war verhaftet worden. Mit Flugzeug, Reichtum – und einer Anklage, die ihn für Jahre ins Gefängnis brachte.
Wenig später erhielt ich einen Brief. Er stammte von jenem nächtlichen Besucher. Ich antwortete – doch in mir wusste ich: Manche Schicksale lassen sich nicht ändern, selbst wenn man sie im Voraus sieht.
IMT